2. Alles vorbei?

Er hatte es kurz gemacht, hatte sie auf ihrem Handy angerufen und sie gebeten vorbeizukommen. Sie hörte schon an seiner Tonlage, dass etwas nicht stimmte, schob es aber auf seine aktuelle Situation, da er zur Zeit Probleme mit seinem Chef hatte und Angst hatte seinen Job zu verlieren. So verhielt sie sich wie immer, sie bürstete sich die Haare, spritzte sich einen Hauch Parfüm auf den Hals, schminkte sich ein wenig und ging voller Vorfreude los. Zwei Jahre waren sie nun schon zusammen und für sie war er der Richtige, er war der Mann, den sie heiraten wollte, mit dem sie Kinder haben wollte. Auch wenn es bei ihm zur Zeit nicht so gut lief, so wusste sie doch: auch das würde sich bald wieder ändern, denn sie hatten gemeinsam für ihn Bewerbungen geschrieben. Er wollte gerne ins Ausland gehen, nach Spanien genauer gesagt, und da dies auch ihr Traum war, hatten sie versucht dort einen Job für ihn zu finden und sie war optimistisch, dass es klappen würde, schließlich hatte er hervorragende Referenzen und in Deutschland rissen sich die Firmen um ihn.   

Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie vor dem Wohnhaus stand in dem er wohnte. Er bewohnte eine geräumige 2 ½ Zimmer Wohnung im ersten Stock mit Blick auf den Fluss. Sie dachte zurück an die Zeit vor knapp 1 ½ Jahren: Sie waren gerade ein knappes halbes Jahr zusammen, er war frisch von Hamburg nach Köln gezogen und Barby hatte diese Wohnung für ihn ausgesucht, da er es zeitlich nicht schaffte. Er hatte seine Wohnung teilweise von einem Raumausstatter einrichten lassen, teilweise hatte Barby das aber auch übernommen. Sie hatte sich um die Dekorationen und die farblichen Akzente gekümmert, da er genau wusste, dass ihr dieses lag und dass es dadurch wohnlicher werden würde. Wie viel Freude ihr dieses bereitete! In dieser Aufgabe war sie total aufgegangen, sie stellte vieles selber her, besorgte sich Schnittmuster, Stoffe und Bänder und nähte wochenlang, manchmal ganze Nächte hindurch, nur damit er sich in seiner Wohnung wohlfühlte. Dadurch wurde diese Wohnung auch ein bisschen zu ihrem Zufluchtsort, wenn sie sich wieder bei ihrer Schwester Patricia zu eingeengt fühlte.   

Barby warf noch einen kurzen Blick in die Glasscheibe des Treppenhauses und prüfte ihre Frisur. Alles okay, dachte sie und schloss die Tür auf. Als sie oben ankam, stand die Tür zu seiner Wohnung schon offen, nur er selbst war nicht zu sehen. Barby betrat den großzügigen Flur, zog ihre Schuhe aus und ging lächelnd ins Wohnzimmer wo er am Fenster stand und ihr den Rücken zudrehte.   

„Hallo Tom, mein Schatz. Was ist passiert? Wieder dein Chef?“ Sie ging zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und wollte ihn umdrehen, doch er sperrte sich. „Hey, so schlimm kann es doch gar nicht sein. Schließlich bin ich hier um dich aufzumuntern.“ Plauderte sie fröhlich drauflos, doch von ihm kam immer noch keine Reaktion. So setzte sie sich auf das Sofa und blätterte in seiner Post. „Könntest du bitte aufhören in meiner Post zu wühlen“ fuhr er sie unverhältnismäßig forsch an und sah sie nun an. „Immer musst du alles kontrollieren! Ich hab es satt!“ Er brüllte sie nun an und sie konnte die Wut in seinem Gesicht sehen.   

„Entschuldigung“ setzte sie an, doch er ließ sie gar nicht zum reden kommen: „Es reicht mir!“. Verwirrt guckte sie ihn an „Was reicht dir? Ich kann auch aufhören deine Post durchzusehen.“  

Er ging bedrohlich langsam Schritt für Schritt auf sie zu und redete nun ganz leise „Nein, Barby“ abfällig spuckte er ihren Namen aus „DU reichst mir! Verschwinde aus meinem Leben. Hau ab! Du und deine beschissene Anhänglichkeit. Ich ertrage dich nicht mehr!“   

Ihr kamen die Tränen bei seinen harten Worten. „Ja, jetzt fang wieder an zu heulen, das hatten wir ja lange nicht mehr“ seine Aussage troff vor Ironie.   

„Aber warum, Tom? Warum?“ Sie schluchzte hemmungslos, die Tränen liefen ihre Wangen hinunter. Sie spürte die Verzweiflung, die sich in ihr aufbaute. Eigentlich wollte sie seine Antwort gar nicht hören, am Liebsten würde sie sich jetzt die Ohren zuhalten. Aber sie riss sich zusammen und schaute ihm in die Augen.   

„Du willst wissen warum, Barby Kelly? Ich sag es dir: Deine Krankheit geht mir auf die Nerven! Ständig müssen wir irgendwelche Verabredungen absagen, weil du dich psychisch dafür nicht in der Lage fühlst. JEDEN TAG rufst du mich an um mir zu sagen wie schlecht es dir geht und dass ich der einzige Sinn in deinem Leben bin. Weißt du was da für eine Verantwortung auf meinen Schultern lastet? Und ständig hast du irgendwelche Rückfälle, weil die Aushilfe beim Bäcker dich komisch angeguckt hat. Dann sitzt du in deiner Wohnung im Dunkeln und hörst traurige Musik. Und dann...“   

„Es reicht“ schluchzte sie. „Es reicht, hör auf! Ich weiß das alles doch. Ich weiß wie anstrengend meine Krankheit für dich sein muss. Aber du kennst mich doch schon so lange, es kann doch nicht sein, dass dir das von heute auf morgen auffällt...“   

„Das ist es auch nicht, Barby“ er spuckte ihren Namen nun schon nicht mehr so heraus „ich trage diesen Gedanken, dass mir das mit dir alles zuviel wird, schon so lange mit mir herum. Aber du hast es nicht bemerkt. Du WOLLTEST die Anzeichen auch gar nicht bemerken, du lebst in deiner eigenen Welt. Tut mir leid, aber dort möchte ich mit dir nicht mehr leben. Ich komme mit deiner Krankheit einfach nicht mehr klar.“ Er schaute sie an. Sie saß wie ein Häufchen Elend auf seinem Designer-Sofa.   

„Hast du eine Andere?“ presste sie heraus. „Nein“ – „Aber warum dann alles so plötzlich? Liebst du mich nicht mehr?“ – „Doch, Kleines. Ich habe nach wie vor Gefühle für dich, sehr stark sogar.“ Er setzte sich auf den Sessel, der ihr gegenüberstand, und sah ihr direkt in die Augen. „Es fällt mir auch sehr schwer, dich so leiden zu sehen. Ich fühle mich total beschissen dir ins Gesicht sagen zu müssen, dass es vorbei ist. Aber ich kann nicht anders. Verzeih mir, Liebes, aber ich komme mit deiner Art nicht mehr klar...“   

Barby stand auf und ging mit gesenktem Kopf aus dem Zimmer. Sie zog in Zeitlupe ihre Schuhe an, warf sich die Jacke über und verließ die Wohnung. Sie ging zu ihrem Lieblingsplatz am Wasser und dachte nach. „Ich verstehe das nicht! Warum macht er mit mir Schluss? Wenn er doch sagt er liebt mich...“ Sie weinte bitterliche Tränen bis sie spürte, das jemand hinter ihr stand.

Ein kleines Mädchen, vielleicht 7 oder 8 Jahre, schaute sie mit ihren großen blauen Augen fragend an. „Warum weinst du?“ fragte sie Barby mit großen Augen und hielt ihr ein Taschentuch hin. Barby sah sie an und musste unwillkürlich lächeln. „Weil jemand mir sehr weh getan hat. Danke.“ Sie schnäuzte ihre Nase. „Wo hat er dir denn weh getan?“ – „Hier.“ Sie deutete auf ihr Herz. „Aber wie kann er dir denn da weh tun? Hat er dich gehauen?“ Das Mädchen verstand Barbys Situation einfach nicht. Sie setzte sich neben Barby und wartete ab.   

 

 

Barby schaute sie an „Wie heißt du eigentlich? Ich bin Barby.“ – „Ich bin Josefine, aber alle nennen mich Josie.“ Barby nahm Josies Hände in ihre und wandte sich ihr zu. „Josie, wenn du einmal älter wirst, wirst du mich verstehen. Mich hat gerade ein Mann sehr verletzt. Er hat unsere Beziehung beendet, obwohl es noch sehr gut lief.“ Josie sprang auf „Das ist wie bei meinen Eltern, die haben sich scheiden lassen.“ Eine kleine Träne glitzerte in ihrem Augenwinkel. „Siehst du, dann verstehst du ja, was ich meine.“ Josie nickte und setzte sich wieder auf die Bank neben Barby.   

 

 

 

Josie schüttete Barby ihr Herz aus und auch Barby versuchte ihrerseits dem Mädchen ihre Geschichte nahezubringen. So saßen sie mehrere Stunden nebeneinander bis Josie merkte, dass sie schnell nach Hause muss. Sie verabschiedeten sich voneinander und Barby und Josie machten sich jeweils auf ihren Weg nach Hause.

 

Die Verzweiflung stieg in Barby wieder auf. Sie dachte wieder an all die Pläne, die Tom und sie für ihre Zukunft geschmiedet hatten. Als sie bei ihrer Schwester ankam stellte sie erleichtert fest, dass diese nicht zu Hause war. Alle Fenster waren dunkel. Sie begab sich sofort in ihr Zimmer und legte sich auf ihr Bett. Sie weinte vor Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. „Niemals in meinem ganzen Leben werde ich einen Mann so lieben können wie Tom“ rief sie verzweifelt aus. Die Reste ihrer Schminke, die sich noch nicht aufgelöst hatte liefen mit ihren Tränen auf die weiße Bettwäsche, doch das bekam sie überhaupt nicht mit. Sie war versunken in ihre Trauer. Selbstzweifel quälten sie.  

 

 

  „Mein Leben hat keinen Sinn mehr“ stellte sie selbstquälerisch fest. Er war mein Leben. Ohne ihn will ich nicht mehr auf dieser Erde weilen. Ich werde doch niemals einen anderen Mann finden - Barby verlor sich in Grübeleien.

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Kommentare: 3
  • #1

    Die Micha (Samstag, 09 Oktober 2010 17:50)

    Wie traurig arme Barby

  • #2

    mandy (Sonntag, 22 Januar 2012 21:21)

    Der teil mit dem kind, dass die situation nicht verstand, kommt mir aus irgendeinem film sehr bekannt vor!

  • #3

    Kathrin (Montag, 26 September 2016 19:54)

    Dieser Tom ist ja hart, eiskalt