5. Der Tag danach

Auch Denis wachte nicht in seinem Bett auf. Er fand sich auf dem Sofa wieder, als Alex an seinem Arm zog. „Paaapaaa! Wach auf!“ Stöhnend erhob sich Denis, schlagartig waren alle Erinnerungen an die letzte Nacht wieder da.  

„Was ist denn los, Alexander?“ – „Hab Hunger!“  Denis lächelte und nahm ihn in den Arm. „Wir sehen erst mal nach was die Mama macht und dann frühstücken wir, okay?“  

Alexander nickte erfreut. Er griff nach Denis‘ Hand und gemeinsam gingen sie ins Schlafzimmer. Doch Patricia schlief seelenruhig. Denis legte den Zeigefinger an den Mund. „Komm, wir lassen sie schlafen“ wisperte er. Und auf Zehenspitzen schlichen sie wieder aus dem Schlafzimmer.  

In diesem Moment hörte er, wie sein Handy klingelte. Er lauschte aus welcher Richtung das Klingeln kam. Im Wohnzimmer wurde er schließlich fündig und ging ran. 

„Hallo?“  

„Hi, hier ist Jimmy.“  

„Jimmy, schön, dass du anrufst, wie geht es Barby?“  

Jimmy erzählte Denis kurz was es an Neuigkeiten gab und legte dann wieder auf.  

„Guten Morgen“ brummte Patricia, die sich an den Türrahmen lehnte. „Guten Morgen, Honey, wie fühlst du dich?“ Denis ging auf seine Frau zu und gab ihr einen Kuss. „Gar nicht gut. Ich fühle mich, als hätte ich Watte im Gehirn.“ Demonstrativ fasste sie sich an die Stirn. „Aber nun sag schon: Wie geht es Barby? Sie hat doch überlebt, oder?“ Verzweiflung stand in ihren Augen. „Ja, hat sie. Die Dosis die sie geschluckt hat war nicht lebensbedrohlich. Sie befindet sich bereits auf dem Weg der Besserung. Jimmy ist bei ihr, aber wir sollten trotzdem deine Familie informieren.“  

„Du hast Recht. Das werde ich sofort übernehmen.“  

„Trisha, das kann ich auch gerne übernehmen. Leg dich doch noch mal ins Bett.“  Patricia schüttelte mit dem Kopf „Nein, ich will das selbst machen. Schließlich ist sie meine Schwester.“ Sie machte sich sofort an die Arbeit und informierte alle ihre Geschwister, sie rief sogar im Kloster in Frankreich an, damit Paddy diese Nachricht ausgerichtet wurde.  

„Puh, das war Schwerstarbeit“ ächzte sie. „Sie kommen alle hierher, die ersten kommen so ca. in einer Stunde“ rief sie ihrem Mann zu, der in der Küche die Kinder fütterte.  

Eine dreiviertel Stunde später klopfte es bereits an der Tür. Angelo trat mit Kira und ihren 3 Kindern ein. Sein Gesicht zeigte keine Regung. Angelo nahm Patricia in den Arm und Kira tat es ihm gleich.  

„Kann ich euch etwas zu trinken anbieten?“  

„Ja gerne, könnte einen Kaffee vertragen.“ Angelo war offensichtlich von Patricias Anruf geweckt worden. Er hatte nicht mal vernünftig seine langen Haare gekämmt.  

Patricia ging den beiden voraus in die Küche, schenkte 3 Tassen Kaffe ein, reichte Angelo, Kira und Denis jeweils eine Tasse.  

„Jetzt erzähl aber bitte mal, warum wir eigentlich hier her kommen sollten?“ brummte Angelo mit seiner rauen, verschlafenen Stimme. „Das möchte ich erst bekannt geben, wenn der Rest hier eingetroffen ist, zumindest möchte ich warten bis die meisten hier sind. Paddy wird es ja wohl nicht schaffen, Maite und Florent ja auch nicht, die sind ja ebenfalls zur Zeit in Frankreich. Aber ansonsten möchte ich warten bis der Rest hier eingetroffen ist.“ 

„Du siehst müde aus, Tricia. Und mir gefällt dein Ton auch gar nicht.“ – „Mach dir keine Sorgen, Angelo. Mir geht es gut.“  

Angelo merkte, dass seine ältere Schwester nicht darüber reden wollte. Also verließen er und Kira die Küche und setzten sich ins Wohnzimmer. Gabriel und Helen hatten sich mit Alex in sein Kinderzimmer verdrückt. Von dort hörte man nur zufriedenes Kinder-Gequietsche.

 Patricia saß immer noch in der Küche und regte sich nicht. „Denis...?“ – „Ja, was ist?“ – „Ich hab Angst. Ich hab Angst, dass das mit Barby noch schlimmer wird. Sie befand sich ja schön öfter auf dem Weg der Besserung, wir haben auch schon einige Rückschläge miterlebt, aber noch nie hat sie versucht sich das Leben zu nehmen.“  

Patricia liefen die Tränen der Verzweiflung über die Wangen. „Psst, Liebes, weine nicht! Wir werden das schon schaffen. Du, ich und deine Familie.“ Sie lehnte sich an seine Schulter und er streichelte ihr liebevoll über die Haare.  

„Mir ist... oooh...“ plötzlich stand Patricia auf und rannte zum Badezimmer. Denis eilte hinterher, er öffnete die Tür zum Bad. Patricia hing über der Kloschüssel und übergab sich heftig. 

Er kniete sich hinter sie und hielt ihre Haare fest, als sie fertig war hielt er ihr ein Tuch hin, damit sie sich den Mund abwischen könnte.  

„Das ist bestimmt der Stress, Liebes. Du solltest dich ins Bett legen.“ – „Ich kann nicht, Denis, ich kann nicht. Meine Familie kommt. Wir müssen uns beraten wie es weitergehen soll. Ich kann da nicht fehlen.“  

„Okay,“ stimmte er ihr zu, „dann wirst du dich aber auf das Sofa legen und dich ausruhen. Ich werde deinen Geschwistern erzählen was passiert ist.“  

Kraftlos nickte Patricia zustimmend.  

„Nun komm, leg dich auf das Sofa. Ich werde dir einen Tee kochen.“  

Erleichtert darüber, dass sie das Zepter mal aus der Hand geben konnte ließ sie sich widerstandslos von ihrem Ehemann hochheben und auf das Sofa legen.  

Kira setzte sich sofort neben sie und sah sie besorgt an. „Ist alles okay bei dir, Trisha? Du bist so blass. Es ist etwas sehr schlimmes passiert, hab ich Recht?“  

Patricia warf einen Blick zu Angelo, aber der schnarchte selig auf dem anderen Sofa, Emma hatte er im Arm, diese schlief ebenfalls tief und fest. Patricia fiel auf wie ähnlich sich die Beiden sahen. Unwillkürlich lächelte sie. Kira, die ihrem Blick gefolgt war lächelte ebenfalls. „Emma ist Angelo jetzt schon wahnsinnig ähnlich. Außerdem hängt sie total an ihm. Sie ist ein richtiges Papa-Kind. Aber nun erzähl bitte, was ist los mit dir?“  

„Mit mir ist nichts los,“ wisperte sie. „Es geht um Barby. Sie hat versucht sich das Leben zu nehmen.“  

Kira sah sie entsetzt an und hielt sich die Hand vor den Mund „Oh Gott, was ist denn passiert?“  

„Das wissen wir auch noch nicht genau. Jimmy ist zur Zeit bei ihr. Aber die genaue Geschichte wirst du ja gleich von Denis noch hören. Auf jeden Fall habe ich Angst um sie. Kira, ich hatte das Gefühl, dass es ihr so gut ging in letzter Zeit. Und nun das... Ich will nicht, dass sie schon wieder in eine Nervenheilanstalt muss.“ Patricia fing wieder an zu weinen und Kira strich ihr über den Rücken.  

„Warte doch erst einmal ab. Lass Barby sich erst einmal äußern und dann sehen wir weiter. Mach dich nicht verrückt, ohne dass du weißt was überhaupt Sache ist.“  

Oft schon haben sich alle über Kiras norddeutsch-kühle Art aufgeregt, das wirkte auf die hitzköpfigen Kellys oft emotionslos und kalt, doch in diesem Moment war Patricia froh, dass Kira die Ruhe bewahrte und sich nicht beirren ließ.  

„Danke“ flüsterte Patricia. Sie unterhielten sich noch ein bisschen, doch kurze Zeit später waren alle die kommen konnten versammelt und Denis begann zu erzählen.  

 

Nach dem Telefonat mit Denis saß Jimmy noch kurz vor dem Krankenhaus und rauchte heimlich eine Zigarette. Dies tat er manchmal in stressigen Situationen, oder auf Partys wenn Meike nicht dabei war. Vor ihr musste er das immer verheimlichen. Aber in diesem Moment brauchte er unbedingt eine.  

Die Zigarette neigte sich ihrem Ende zu als plötzlich ein Auto auf den Parkplatz fuhr, welches ihm sehr bekannt vorkam, er kam nur nicht drauf wem es gehören könnte. So blieb er noch kurz sitzen und wartete darauf wer da aus dem Auto steigen würde. Vielleicht irre ich mich ja auch, überlegte er.  

Aber er irrte sich nicht. Aus dem Auto stieg Barbys Psychotherapeut. Wie passend, dachte sich Jimmy und ging auf ihn zu. 

„Guten Tag Herr Heins.“ – „Guten Tag Herr Kelly, tut mir leid, ich habe es gerade ein wenig eilig. Meine Tochter ist in die Notaufnahme eingeliefert worden.“  

„Oh, dann will ich sie nicht weiter stören. Aber vielleicht haben Sie ja nachher kurz Zeit. Es geht um Barby. Sie hat versucht sich das Leben zu nehmen.“  

Herr Heins sah Jimmy entgeistert an „Was hat sie getan? Was ist passiert? Wo ist sie?“ Er schüttelte entsetzt den Kopf. „Das kann doch nicht sein...“  

„Also, es geht ihr wieder besser, die Dosis die sie geschluckt hat war nicht tödlich, aber ich mache mir Sorgen um sie. Warum sie das getan hat weiß ich auch noch nicht. Sie schläft noch.“  

Der Therapeut wirkte traurig und wütend zugleich „Ich komme nachher mal vorbei. Ich muss mit ihr sprechen.“  

Mit diesen Worten verschwand er in der Notaufnahme. Der hat aber merkwürdig reagiert, dachte Jimmy. Er zuckte mit den Schultern und begab sich zurück in Barbys Zimmer.  

Barby lag in ihrem Zimmer und dachte nach. Warum lebe ich noch? Was ist schief gelaufen? Das kann doch nicht sein... Sogar zum mich-selbst-umbringen bin ich zu blöd. Sie bohrte ihre Fingernägel der rechten Hand fest in den linken Unterarm, so fest bis es anfing zu bluten. Erst als sie die rote, warme Feuchtigkeit auf ihrem Arm spürte fühlte sie kurzzeitige Erleichterung. Sie war nach wie vor verzweifelt. Alles in meinem Leben läuft schief, meine Beziehung ist kaputt, meine Geschwister wenden sich von mir ab, keiner hat Verständnis für mich, keiner mag mich. Barby begann leise zu weinen. Erst kullerten nur ein paar, doch dann liefen die Tränen in Sturzbächen aus ihren Augenwinkeln, aber sie wischte sie nicht weg. Innerhalb kürzester Zeit war das Laken feucht, gleichermaßen wie ihre blonden Haare, die auf dem Kissen lagen.  Als sich die Tür öffnete machte sie sich nicht die Mühe ihre Tränen zu verbergen. Es war Jimmy, der sich neben ihr Bett auf den Stuhl setzte. „Hallo Barby, hast du einigermaßen geschlafen?“ Sie nickte, weinte aber einfach weiter.

 "Hey, little Sister, wein doch nicht.“ – „Ach Jimmy, es ist alles so sinnlos...“ – „Nein, Barby. Alles hat seinen Sinn auf dieser Welt.“ Er sah das getrocknete Blut auf ihrem Arm „Warum machst du so etwas?“ sagte er auf ihren Arm deutend. Sie zuckte mit den Schultern.  

„Mein Leben hat keinen Sinn mehr, Jimmy.“ – „Aber warum? Barby, rede doch bitte mit mir“ Verzweifelt sah er sie an. „Wir lieben dich und wollen dir helfen, aber das können wir nur, wenn du uns sagst wo dein Problem liegt.“  

„Mein Problem?“ Sie pustete hörbar Luft durch die Nase „Frag doch Tom.“  

„Nein, so kommst du mir nicht davon. Ich will es aus deiner Sicht hören.“ Er hatte ihre Hand des unverletzten Arms genommen.  

„Er mag mich nicht mehr. Ich bin ihm zu anstrengend.“ Sie schluchzte und konnte sich gar nicht wieder einkriegen. „Barby.... Beruhig dich!“ er versuchte auf sie einzureden, doch sie hörte gar nicht mehr auf zu weinen. „Barbara“ sagte er deutlich und bestimmt. „Es reicht jetzt! Hör auf zu weinen! S-o-f-o-r-t!“ Barby war überrascht von seinem bestimmenden Ton und sah ihn verwirrt an.  

„Siehst du, geht doch“ grinste er sie an. „Dann kannst du mir ja jetzt in aller Ruhe erzählen, was passiert ist.“  

Barby weinte zwar weiter, aber die Tränen flossen nur noch leise ihre Wangen hinunter. Sie erzählte ihrem Bruder ausführlich was am gestrigen Tag passiert ist. Und Jimmy hörte ihr einfach nur zu, streichelte ihr ab und zu über die Haare und reichte ihr Taschentücher.  

Wenige Stunden später klopfte es leise an der Tür. Und Barbys Therapeut betrat den Raum.  

Sie setzte sich aufrecht hin und starrte ihn erschrocken mit großen Augen an.  

„Hallo Frau Kelly“ er reichte ihr die Hand und lächelte sie an. Sie reichte ihm ebenfalls ihre Hand, aber nicht ohne sie vorher unauffällig am Laken abgewischt zu haben. Beide sahen sich in die Augen, länger als Jimmy es für nötig gehalten hätte. Danach reichte er kurz Jimmy die Hand. 

„Ich verschwinde dann mal, in Ordnung, Barby? Ich würde jetzt gerne nach Hause in mein Bett und dann hole ich dich morgen früh ab, wenn der Arzt sein okay dann gibt.“  

Sie nickte ihm abwesend zu, war mit ihren Gedanken aber offensichtlich woanders.  

 

Er nickte Herrn Heins zu und verschwand dann aus dem Zimmer.

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Kommentare: 1
  • #1

    mandy (Sonntag, 22 Januar 2012 22:08)

    Interessant, doch der teil mit der einweihung der familie über des geschehns finde ich ein wenig unrealistisch, wie kann eine schwester solange sich alle versammelt haben, es verbergen was passiert ist? naja... vielleicht ist es ansichtssache, bei mir wäre es sofort raus gebrodelt! ansonsten bin ich gespannt wie es weiter geht....